Klee ist zur Zeit dieses Berichtes 78 Jahre alt!!!
09-10-08
Friedel Klee mit Sextant
Lang ist´s her, seit ich mich zuletzt gemeldet habe, aber einmal will ich es nun doch noch tun:
(Anmerkung: Der nun folgende, in kursiver Schrift gehaltene Text ist deckungsgleich mit dem Brief vom August 1999! Wahrscheinlich wollte Klee vor seinem neuen Bericht noch einmal auf die Verhältnisse und seine Gemütsverfassung in der Zeit nach Ursels Tod und nun so ganz allein in Bellingham, eingehen.)
Es hat mich zutiefst bewegt, wie Viele mir aus Deutschland und aller Welt geschrieben haben, auch ohne dass sie von mir die Nachricht vom Tode meiner Ursel erhalten hatten. Das war überhaupt sehr schwierig, denn ausgerechnet in den Tagen versagte unsere kleiner Anschriften-Computer.
Die VAGANT an Kap Hoorn
Nach schier endloser Zeit in Deutschland voller Arbeit und Probleme ohne Ende, einer allzu kurzen reise durch das noch winterkalte Land und unwürdigen Schwierigkeiten mit Ursels Urne, bin ich am 15.6. nach Hause geflogen, zu VAGANT. Nun läuft das Schwerste, mich einzurichten für ein Leben ohne Ursel.
Da dürfen noch lange nur praktische Überlegungen und Zwänge gelten. Die viele unerledigte Post ist aber keinesfalls vergessen. Ich kann einfach noch nicht so antworten, wie ich es gerne möchte. Bald. Bestimmt!
Leider bin ich immer noch in Bellingham. Die Stadt ist so lang hingestreut, daß es eine armselige Kreatur wie ich, die ohne Auto, Telefon und Computer vor sich hin vegetiert schwer hat, überhaupt etwas zu erledigen. Das nächste Einkaufszentrum „The Mall“ mit seinen Mammutläden liegt zwar nur 10 Autominuten nebenan, für mein Klappfahrrad, zur Hälfte von einer frisch erneuerten Hüfte betrieben, aber kaum näher als Deutschland. Dort gibt es natürlich ALLES und noch mehr, sogar Lebensmittel und Feinkost einer Auswahl, die schon fast die Hälfte einer kleinen REWE-Filiale zuhause an der Ecke erreicht. Hier draußen könnte man glatt verhungern.
Trotzdem habe ich weder Lust noch Grund zum Meckern. Als ich Ursels Sachen zusammengekramt hatte, um sie sinnvoll weg zu geben, sackte ich erst einmal auf einen Tiefpunkt, an dem ich mir kaum noch vorstellen konnte, wie es weiter gehen sollte. Doch dann wandte ich mich wegen diesen Sachen an eine stattliche Einrichtung zur Betreuung von Obdachlosen und Asozialen. Dort erkannten sie mich sofort als Fall, der nicht nur das Anlegen einer Akte erforderte.
Seitdem kommt doch wenigstens einmal die Woche die eine oder andere charmante aber fachkundige Dame vorbei, um nachzuschauen, wie es mir geht, ja sogar zu prüfen, welche stattlichen Hilfen mir vielleicht zustehen könnten und erstaunt bedauernd, daß ich keine brauche; schließlich lebe ich hier ja unter Slum-Bedingungen.
Doch schon die routinierten aber einfühlsamen Gespräche helfen und Christine, Seglerin und Leiterin dieses staatlichen Versuchs einfacher Menschlichkeit hatte wohl den besten Gedanken: sie setzte eine Patenfamilie auf mich an, freiwillige Helfer, eine Lehrerfamilie mit 2 Töchtern, Segler. Er, Delayne, ist sogar schon zweimal nach Hawaii gesegelt, einmal davon sogar Einhand.
Die sind richtig lieb zu mir. Einkaufsfahrten, Arztbesuche und technische Expeditionen mit Dads verstaubtem Pickup, Pams 300er Mercedes Turbo-Diesel, Tochter Dels verbeultem VW oder Töchterchen Gels gelbem 57er Chevy in antikem Toppzustand. Schon soviel selbstbewusste Weiblichkeit und strahlende Jugend neben mir helfen meinem Greisenwackelkopf um mindestens 20 Grad höher. So viel Charme, Bein, Busen . . . Lachen . . . und so . . .
So schaffte ich zwischendurch nur eine kleine Osmose-Behandlung mit großer Antifouling-Schmiererei hinterher und unter Decke nehme ich immer noch unser Schiffchen ,mit seinen unzähligen Besonderheiten gaaanz langsam und gründlich in Besitz. Das schafft natürlich zunächst einmal eine formidable Unordnung, regelrechten „Zustand“. Ursel ist allgegenwärtig und doch nicht da. Manchmal wundere ich mich weinend und lachend zugleich über die für mich allzu weibliche aber praktisch funktionierende Logik ihrer ausführlichen Bestands- und Staulisten. Dann spüre ich sie besonders nah, lächelnd, „das war ich. Nun mach Du mal schön . . .“
Ab hier nun neu:
Irgendwann konnte ich endlich auslaufen, Kurs Vancouver; eine ruhige Reise voller Erinnerungen bei kühlem Sommerwetter. Kaum hing VAGANT an einer der allerletzten freien Stellen im False-Creek, als auch schon eine Barkasse erschien, die schwere Bojen mit wackeligen Schildern "Private - No Mooring" dazulegte. Auch dort wird unsere Welt immer enger.
Ursels Urne war da, fand ihren Platz am Stb.-Niedergang und VAGANTS-Flagge hing nach altem Brauch auf halbstocks.
Nun war endlich Gelegenheit für eine Menge Überholungsarbeiten, Reparaturen und Neuausrüstungen. Seltsam war dabei, dass - genau wie vorher - nichts auf Anhieb klappte; man konnte abergläubisch werden, zumal auch noch mein Klappfahrrad geklaut wurde, federleicht aus Alu, auf vielen Inseln gebraucht, nie angeschlossen, weil seine ungewöhnliche Form "eigentlich" nicht zum Klauen einlud. Erst in diesem eher biederen Vancouver interessierte sich jemand dafür und das auch noch gerade zu der Zeit. Na ja, Vancouvers Busverkehr ist dicht und Laufen gesund; nur die neue Hüfte hatte das noch nicht so gern.
Seine eigene Bildunterschrift: Böse Zeiten ....
Auch menschlich konnte ich mich bald wieder einordnen, diesmal ganz unten. Mein Ankernachbar war Luis, ein pfiffiger Franzose mit seinem uralten Schoner. Er kannte alle möglichen Schliche, Tricks und Wege drum herum und dran vorbei. Also war ich bald für einen Dollar (DM 1,30) Jahresbeitrag berechtigt, ohne weitere Kosten in seiner öffentlichen Einrichtung für Obdachlose, Drogensüchtige und Asoziale zu duschen, meine Wäsche waschen zu lassen und billig zu essen. Nur als ich mit einem kostenlosen Haarschnitt dran war, hatte sich die vietnamesische Friseuse gerade mal wieder auf den Strich abgesetzt.
Nach heimischem Verständnis konnte man sagen, "so tief ist der gesunken". Es geht aber noch tiefer - und zugleich hoch über solch ländliche Maßstäbe hinaus.
Im August starb nach langem Kampf unser Freund Heiner Plinke; eine lange, bittere Geschichte für sich. Alle um ihn wußten schon lange vorher, wie es um ihn stand und er ohne Zweifel auch. Um so mehr freue ich mich, daß wir beim allerletzten Abschied in einer seiner Werkhallen, wo er gerade an einer Blechbiegemaschine ein Teil für sein Boot machte, noch einmal kurz miteinander lachen konnten. Die verspätete Todesnachricht las ich in dem Asyl in Gesellschaft überflüssiger Menschen, Straßentypen der Großstadt. Ausgerechnet die versuchten, mich ganz lieb zu trösten, als mir beim lesen die Tränen kamen. Und dann mußte ich diesem "Abfall" erzählen, was und wer und wie dieser Kumpel Heiner irgendwo im fernen deutschen Wunderlande war, mit eigener Kraft etwas wurde und auch noch etwas mehr - zu dem Preis, zu spät zu erkennen, was Leben auch sonst noch bedeuten kann. Mit einem Mal konnte ich auch wieder ganz fröhlich von Ursel und unserem Leben sprechen. Die rauen Brüder verabschiedeten sich mit Handschlag. Eine menschliche Erfahrung ohnegleichen - na ja, eigentlich hatte ich die Burschen ja vielleicht auch losschicken können, mein Fahrrad zu finden.
Im Februar 2000 konnte ich endlich auslaufen. Es war befreiend, endlich wieder nur die See und die wilde, freie Natur dieser Weltgegend so voller glücklicher Erinnerungen um mich zu haben, wenn auch überschattet von Trauer. Ich kam gut voran, bis eine scheinbar kleine Motorstörung eine ziemlich harte Übung in Einhand-Seemannschaft erforderte, um Bella Bella zu erreichen, ein etwa 20 sm entferntes Siedlungsgebiet. Der Einsatz war mein Glück.
Der Beginn des Abenteuers Bella Bella sieht viel schlimmer aus als er war. Stinkflaute, ganz leichter Tidenstrich. Motor wollte nicht. Die fallende Tide setzte das Schiff gaaaanz ruhig, ohne einen Bumms auf glatte runde Felsen. Kein Schaden, nur viel Arbeit: Dinghy klarmachen, komplett Ankergeschirr ausfahren und setzen, steigender Tide freiwarpen und dann 20 sm mit dem Dinghy (2,5-PS-Motor) nach Shearwater/Bella Bella schleppen. Glück gehabt: wenn während des Aufsitzens Wind gekommen wäre . . .
Bella Bella heißt die ganze gegenan, obwohl das doch eigentlich nur einen einziger, unbewohnbarer Felsen mit ein paar uralten Gräbern ist. Nebenan auf Campbell Islands leben in Waglisla, das sich auch Bella Bella nennt, an die 1600 Menschen, Indianer des Stammes der Seiltsuk und gegenüber, getrennt durch eine Art großen Binnensee, liegt Benny Island mit seinen 60 Menschen Shearwater, das nur ein paar "Seabus" erreichbar ist; dafür ist dort dann auch das Postamt Bella Bella.
Verwirrend. Eine kuriose, indianische gewachsene Ordnung weitab jeder städtischen Zivilisation, ohne Landverbindung nach irgendwo. Zwei ähnliche Nachbarorte liegen 200 bis 250 sm in NW und SW; im Übrigen ist die Gegend menschenleer. Es kommen aber viele Fischer durch. Die brauchen Treibstoff, vielleicht etwas Proviant, mitunter Reparaturen und auch schon mal medizinische Hilfe.
Es war mein Glück, dass ich dieses Zentrum erreichte, wie klein und abgelegen es auch sein mag. Die frühere Marine-Werkstatt auf Shearwater kümmerte sich um meinen Motor - mit ihrem eigenen Inseltempo, so dass ich mich schon auf ein paar Tage warten einrichten mußte.
Es wurden Wochen und sogar Monate. Eines vergessenen Tages hatte ich im Kaufladen der Reservation eingekauft und bezahlt, nahm meine Tüten auf und schaute ohne Zwischenwahrnehmung in das lächelnde Gesicht einer sehr runden indianischen Krankenschwester, die mit chromblitzendem Gerät an mir rum maß. Was dazwischen lag, erfuhr ist erst später nach und nach:
Herzinfarkt! Zufällig kaufte gerade ein Arzt des örtlichen Krankenhäuschens Tomaten, zwei geschulte Helfer dabei und draußen stand der Krankenwagen der Reservation. Um mich zurückzuholen fielen die Drei so heftig über mich her, dass der gute Doktor hinterher meinte, sich dafür entschuldigen zu müssen. Kleidung zerschnitten, meine Brust wund und grün und blau geboxt und gedrückt; sie hatten sogar Sorge, mir eine Rippe gebrochen zu haben. "Das tut mir ehrlich leid", meinte Dr. Henbast aus Südafrika; schließlich hatte er mir doch nur das Leben gerettet . . .
Spezialbehandlung war da nicht möglich. Also flog mich ein eilends herbei gefunkter Hubschrauber an die 600 Luft-km nach Vancouver - an der Schulter eine kleine lederverzierte Adlerfeder von einem der Indianer, die mich so "mißhandelt" hatten - und nach einer irre teuren Woche, die mir weitgehend fehlt genau so zurück in Reservationskrankenhäuschen. Bald ging es mir fast jeden Tag besser.
Und wieder fanden mich "Paten", liebe Menschen, die sich um mich kümmerten. Mein Visum lief ab und ich meldete mich bei der RCMP, der berühmten "Royal Canadien Mounted Police", der "Königlich Kanadischen Berittenen Polizei". Sergeant Mel Petersen, ein schnurgerader, großer, blonder Mann dänischer Herkunft, regelte meine Problem im Fernlenkverfahren - und bestand nach dem allmählichen Auslaufen der Krankenhauszeit darauf, dass ich in seinem Haus wohnte.
Die "Paten" Mel und Grace, denen er viel verdankte!
Diesem polizeilichen Befehl mußte ich wohl Folge leisten. So fand ich mich plötzlich an Land, betreut von Grace, Mels Freundin indianischer Herkunft, einer zierlichen exotischen Schönheit, Ärztin am Krankenhäuschen, die ungeheuer schnell denkt und reagiert.
Mels Revier ist kaum kleiner als ganz Nordrhein-Westfalen. Sein Hobby sind Computer. Er konnte nie genug kriegen von de paar e-mails und Faxen wegen meiner Motorprobleme über seinen heimischen und den Polizeicomputer, die ich ihm erst noch auf Deutsch vorbuchstabieren mußte, bis sich ein drei Jahre uralter Wordprocessor fand, auf dem ich selber klimpern konnte.
Dolle Sache! Wäre so was nicht auch ein sinnvoller Fortschritt für mich? Ganz sicher. Mels überzeugende Begeisterung und die Perfektion des Geschriebenen ließen bald Gedanken keimen, da nun endlich voll einzusteigen, wie es ich für einen modernen Menschen geziemt; schließlich hatte ich schon länger den Eindruck, mich elektronisch nur noch mit Ur-Ur-Oma und -Opa vergleichen zu können, die weder schreiben noch lesen konnten.
Doch dann sah ich wieder das skeptische Lächeln in Dicks eisernem Gesicht. "Elektronik für Dich"? Du magst sie nicht. Sie ist Dir zu teuer und zu kompliziert, kaum zu reparieren, empfindlich, schnell überholt und hat allzu viel was Du nie brauchst. Hält 3 Jahre. Dann bezahlst Du wohlmöglich dafür, es wegschmeißen zu dürfen." Trotzdem spielte gerade er ja nur allzu gern mit allem Allerneuesten, aber dafür war er ja schließlich auch Raketen-Ingenieur.
Also tippte ich auch nach dem Hinscheiden meiner alten Dampfschreibmaschine von Heinz Dehler mit einer solchen, einem kompakten, schweren Ungetüm. Das kam so:
Auch Kandier sind nicht alle brav. Aber die "RCMP kriegt immer ihren Mann", wenn sie ihn kriegt, denn das Land ist weit und dünn besiedelt. Damit dann alles seine ordentliche Ordnung hat, reisen reisende Gerichte bis in die entlegendsten Ecken über denen die "Spiegelei-Flagge" weht und verbreiten recht, Gesetz, Gerechtigkeit und staatliche Hoheit und so, jeweils 1 Richter, 1 Rechtsanwalt und 1 Protokolleur. Vor Ort wohnen sie bei örtlichen Honoratioren und der RCMP; wenn's´ mal nicht anders geht auch schon mal im Knast.
So kam eines Tages die Hohe Gerichtsbarkeit auch wieder einmal über Bella Bella und "bei uns wohnte der Staatsanwalt. Die Gespräche beim sündhaft teuren aber kanadischen Wein ("sintax" - "Sündensteuer") aus dem kanadischen Weintal Okanagan-Valley waren hochinteressant und was ein richtiges Staatsanwalt ist, der hört die Flöhe husten während er dem Gras beim Wachsen zusieht, wie faszinierend seltsam er als konsequenter Mensch des festen Landes, der Gesetze und des piekfeinen Benehmens ein leben wie unser auch finden mag.
Da war dann auch mal von Schreiben die Rede und, sieh mal einer kuck, einige Zeit später kam ein Polizei-Kurier mit einem Polizei-Hubschrauber des Wegs, landete ungeplant und brachte mir dieses Produkt solider alter Technik "mit freundlicher Empfehlung Seiner Ehrten des Herrn Generalstaatsanwalts der Provinz British Columbia". Was damit wohl schon getippt wurde....!?
So lief mein Alltag abwechslungsreich dahin. Doch Ursel war dahinter noch immer allgegenwärtig, von ihrem leiben Lächeln voller Bertrauen bis hin zum Finden etwa eines Wasserpumpen-Impellers in ihren Listen und in Natura. Vor Verzweifelung schützt mich ein wenig eine Grundeinstellung der Seefahrt: was war, das war, Ausdrücke wie "würde" und "hätte" sind schlimmste Obszönitäten, was zählt, ist die vielleicht gerade mal wieder vermasselte Gegenwart und was man daraus machen kann. Muß. Dennoch hängt über allem auch heute noch ein Durcheinander von Gefühlen, vor allem eine tiefe Gleichgültigkeit gegenüber allem, was von außen an mich heran will. Mir ist alles egal.
Aber in den Büchsen vor meinem Fenster schwirren bunte Kolibris so präzise um die violetten Blüten, dass sie den Saft saugen können, auf den weit ausladenden zweigen der Riesentanne dahinter hocken immer mal wieder mürrisch-stolze Adler und das alles vor einem Mittelgrund weiten Wassers mit all seinen Stimmungen von glitzernd bis schäumend, umsäumt von urbewaldeten Ufern und im fernen Hintergrund leuchtet bedecktes Hochgebirge - reichlich Grund, leben zu wollen und das so voll, wie überhaupt noch möglich.
So erholte ich mich doch bald, wenn auch kaum schneller als VAGANTS Motor. Aber eines trüben Tages kehrte er an Bord zurück, sprang auf Knopfdruck an, lief wie ein Einzylinder nur ablaufen kann und lud nach einigen kopfzerbrechenden Mühen sogar die Batterie; nun konnte ich in wenigen tagen WIRKLICH auslaufen. Nur noch eine kleine Probefahrt. nach drei Stunden fröhlichen Schnurrens durch ein wunderschönes Schärengebiet fand ich einen wuuuuunderschönen Ankerplatz. Noch während die Kette ausrauschte blieb der Motor stehen. Von selbst.
Und seitdem hat er nicht mehr gelaufen. Mit dem 2,5-PS-ler Außenborder des Dinghys an einer neuen Nothalterung kehrte ich am nächsten Tag zur Basis zurück. Kofschütteln. Neues Werkeln. Motor wieder ausgebaut und völlig zerlegt. Ersatzteile bestellt. Naßkalt. Mit einmal wurde mir so seltsam fröstelnd zumute, so müde und mein Atem ging schwer. Zum Arzt. Schon wieder?
Lungenentzündung. Bettruhe. Pillen. Wichtige teile für den Motor waren nicht mehr zu bekommen. Zu alt. Atemnot. Briefe, Faxe und Telefonate über ganz Europa und Amerika. Kein Erfolg; nicht einmal Absagen. Stärkere Atemnot. Al, de große Meister der Werkstatt schüttelte seinen erkahlenden Kopf und zog ratlos die Schultern hoch. Erstickender Husten. Die TO-Krankenversicherung sträubte sich gegen die bisher schon sehr hohen Rechnungen. Mehr Pillen. Rechtsanwalt. Noch stärkere Atemnot. Künstliche Sauerstoffversorgung. Dahindämmern im Krankenhäuschen. Mehr Faxe und mühsame Telefonate. Noch mehr Pillen. Ungute Gedanken über die Zukunftsaussichten des Motors, der in der Werkstatt völlig zerlegt im Wege stand. Intravenöse Medikamente. Schmerzhafte Hustenanfälle. Tiefpunkt ohnegleichen.
Aber dann, langsam, sehr langsam, kam ich wieder zu mir. Das Wetter wurde sommerlich wärmer, der große Meister aller ungefähren Technik versprach längst überfälliges aufs Neue und VAGANT gammelt am Steg, drinnen wie draußen voller Unordnung und Dreck, kopfschüttelnd betrachtet von piekfeinen Crews richtiger Yachten, die in zunehmender Zahl durchkamen.
Die Suche nach einer neuen oder gebrauchten Kurbelwelle lief international intensiv weiter. Alle Kontakte versprachen Hoffnung - nein, schnelle und problemlose Hilfe und dann . . . nichts mehr. Ich mußte mich damit abfinden, dass der Motor in absehbarer Zeit nicht repariert werden konnte oder gar erneuert werden mußte. VAGANTS Hilfsmotor war nun wirklich ein solcher. 2,5 PS für 7 t Schiff. Erleichtert dass er mich nun endlich los wurde, baute der große Meister Al noch eine alte Fernbedienung dran und ich konnte davonbrausen; 3 kn Fahrt mit Anlauf bei Stinkflaute sind schließlich auch etwas.
Aber VAGANT ist doch immerhin ein SEGELSCHIFF, obwohl gerade das zu der Jahreszeit in der Gegend einige Probleme macht. Der Wind in den unendlich weit verzweigten, oft sehr engen Kanälen und Fjorden ist unstet. Die hohen berge ringsum lenken ihn kaum abschätzbar ab, an mancher Stelle mit Wildwasserschwung. Da kommt man ohne einen ausreichenden Motor nur mühsam voran, wenn überhaupt.
Und nun dazu noch allein? Auf meine alten Tage? Da brauchte ich nicht viel nachzudenken, um meine Pläne zu ändern. Dieser Törn konnte von nun an kein geruhsames Wandern von einem schönen Ankerplatz zum anderen mehr sein. Ich schlüpfte aus dem traumhaften Inselgewirr nach draußen und segelte die restlichen paar hundert Meilen nach Sitka über die offene See.
Es wurde eine bollerige Seefahrt, die erste richtige in meinem neuen Leben, aber sie bekam mir besser als all die Pillen, die weisen Ratschläge der Ätzte, der routinierte Trost eifriger Schwestern und die verdammte Bettruhe. Zwei Tage lang bekam ich es mit Kap. St. James zu tun, der wilden, stolzen Südspitze der Queen Charlotte Islands, auf kanadisch "The Tschortets":
Gleich dahinter war Rose Harbour eine Versuchung, eine freche Siedlung von weniger als zehn vogelfreien Typen auf dem Gelände einer alten Walfängerstation unter der praktischen Fuchtel Susans, Jüdin aus New York, die ihren beiden, damals kleinen Söhnen unter Einsatz aller Generatorleistung Computerwissen beibrachte. Sollte ich?
Später. Bestimmt. Nun schob mich gemeiner Tidenstrom ein böses Stück in die tückische Hecate Strait zwischen den Charlottes und dem zerklüfteten Festland. Dann gammelte ich in materialfressender Flaute in Sicht arroganter Kaps und versuchte, mein unwilliges Motörchen zu bewegen, sich wieder zu bewegen - eine vergebliche Aktion mit bedenklicher Akrobatik auf VAGANTS tanzendem Heck.
Doch dann kam Wind auf, mehr als ich mir wünschte und gegenan, aber endlich WIND, der uns wegtrug, bis von der bösen Küste nichts mehr zu sehen war. Wir gelangten so schnell nach Norden, dass ich einen Kreuzschlag zur Küste hin zu ein paar tagen fauler Ruhe im vertrauten Fjord hinter dem düsteren Hippa Island nutzte, in einer geschützten Bucht voller Erinnerungen; auf den Klippen draußen rosteten noch immer die Reste des Buges der DARKSDALE, mit der gegen Ende der 40er Jahre mehr als 40 Menschen starben, weil jemand so´n bißchen ungefähr navigiert hatte.
Von dort war es nicht mehr weit zu unserem letzten gemeinsamen Ziel 53 Grad 55´Nord und 133 Grad 50´West, einer Seeposition im Pazifik, etwa 30 sm westlich von Graham Island der nördlichen der Queen Charlotte Insel. Dort begann mit unserer Kenterung 1987 ein ganz neuer Lebensabschnitt für uns, wohl der vollkommenste, Unbeschwerteste und glücklichste über 40 Jahre, die wir zusammen waren.
Beigedreht in 20 kn. (Bf 4-5) Nordwesttreibend nahm ich am 21.7.2000 um 0215 Uhr Ortszeit Abschied von meiner Ursel. Es war stockfinster und nieselte, aber meine Gedanken und Erinnerungen waren bei aller Trauer hell, warm und freundlich, Lächeln unter Tränen...
Knapp drei Monate vorher!
Kurz danach drehte der Wind auf raumschots und frischte auf. Damit ritten wir die restlichen Seemeilen schnell ab und standen genau zu Beginn der kurzen Nacht dieser Breiten vor der felsenübersäten Einfahrt nach Sitka, der ursprünglichen Hauptstadt Alaskas. Müde und überdreht wie ich war, ließ ich uns einlaufen, wieder bei Stockfinsternis voll Niesel, eine uralte Karte und Erinnerungen folgend; Radar außer Betrieb - "wird schon gehen" - die schlimmste Gedankensünde bei solchem Tun. Es ging, aber ein schlechtes Gewissen werde ich noch lange haben.
Sitka ist eine ganz normale Stadt mit etwa 8.000 Einwohnern. Sie liegt nur sehr weit abseits an der Westseite der rauen Insel Baranof, die in ihrer gesamten Größe zum Stadtgebiet gehört und damit zu einer der an Fläche größten Städte der Erde macht. Längs durch Sitka läuft eine "Landstraße" von knapp 30 km Länge. An beiden Enden ist Schluß in der Wildnis. - Haupterwerbszeige sind Fisch- und Touristenverarbeitung; die von Holz ist in den letzten Jahren stark zurück gegangen.
Sitka ist also eine Stadt ohne Landverbindung nach irgendwo. Da sehen meine paar kleinen Probleme zu Anfang wirklich klein aus - nur wenn es zur Sache kam, lief mit einem Mal nichts mehr. Nun muß ich auch den Rest dieses Törns mit der Behelfsmotorisierung segeln. Da bin ich wirklich sehr gespannt wie es weiter geht, denn zum Herbst hin will ich wieder im Süden sein, VAGANT soll auf Vancouver Island überholt werden und ich plane, aus ähnlichen Gründen mal wieder nach Deutschland zu fliegen.
Sitkas Mt. Edgecumbe ist ein ruhender Vulkan. Vor Jahren stiftete Schlossermeister Porky, ein weithin bekanntes Alaska-Original, seine Kumpane an, ihn mal so´n bißchen aufzuwecken. Sie schnackten der Coastguard ein paar Hubscharuberübungsstunden ab, schafften einen Haufen alter Autoreifen in den Krater und steckten ihn am 4. Juli an, dem amerikanischen Nationalfeiertag. Die Brüder hatten das so geheimgehalten, dass viele Leute in der Stadt noch lange von ihrem Entsetzen zehren konnten.
Gruß
Friedel